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Buchrezension "Was Sie dachten, niemals über Kroatien wissen zu wollen" von Christoph Müller


„Begeisternd“

Jede und jeder Kroatien-Reisende(r) kennt dieses Gefühl. Nach 1200, 1400 oder 1600 Kilometern Autofahrt erwartet einen ein wunderbarer Blick auf die Adria. Die Olfaktorik wird aktiviert, weil in der unmittelbaren Umgebung schmackhafte Fische auf dem Grill bruzzeln. Der erste Griff zu einem Stein am Strand beschert ein haptisches Erlebnis. Das Gefühl der Freude wird spürbar, breitet sich quasi im Körper aus.

Zur Freude gehört immer auch die Empfindung der Vorfreude. Sie kann mit dem Buch „Was Sie dachten, niemals über Kroatien wissen zu wollen“ gesteigert werden – in der unmittelbaren Vorbereitung einer Reise nach Istrien oder Dalmatien. Das Buch kann allerdings auch als Trostpflaster gelesen werden. Wer nicht vor Ort sein kann, der oder die kann zumindest einen gewissen Schein erzeugen, sich auf leichte Art dorthin wähnen.

Die Slawistin Veronika Wengert hat nicht nur ein unterhaltsames und kurzweiliges Buch geschrieben. Sie hat das Lebensgefühl Kroatien wohl wie ein trockener Schwamm aufgesogen, sie fühlt und lebt es wohl. Es macht einen ungeheuren Spaß, mit ihr entlang der kroatischen Adriaküste einem eigenwilligen Volk auf die Spur zu kommen und auch vieles über die Regionen um Zagreb und in Slawonien zu erfahren, die touristisch nur begrenzt wahrgenommen werden.

Wengert zaubert den Leser_innen ein Lächeln ins Gesicht, wenn sie beispielsweise vom kroatischen Pomalo-Syndrom berichtet. Dieses Phänomen mediterraner Entschleunigung, Entspannung und Leichtigkeit scheint nach Wengerts Worten den Kroat_innen in die Wiege gelegt. Der Verzicht auf Hast und Eile wird erfahrungsgemäß im Supermarkt gesteigert, wo zwischen den Regalen und an den Kassen unglaublich gerne geplaudert und getratscht wird.

Wer während eigener Kroatien-Reisen nicht nur hinter den Mauern luxuriöser Ferienresorts bleibt, sondern den Kontakt zu den Einheimischen sucht, der und die wird die Erfahrung machen, dass die Liebe der Kroat_innen zum selbstgebrannten Schnaps geradezu den Besuch einer Drogerie ersetzt. Frisch rasierte kroatische Männer nutzen den scharfen Drink anstatt Rasierwasser. Besorgte kroatische Frauen schmieren den Schnaps auf sonnenverbrannte Haut oder manchmal auch in Wunden und sorgen für ungeahnte Genesungsprozesse leidender Menschen.

Die Geschichten, die Wengert erzählt, sind sehr konkret. Irgendwie haben die Leser_innen das Gefühl, dass sie über Jahre in Notizbüchern Erfahrungen und Erlebnisse notierte, um sie nun in dem Buch „Was Sie dachten, niemals über Kroatien wissen zu wollen“ aufzuschreiben. Sie weckt nicht nur die Neugier auf eines der schönsten Reiseländer der Welt. Sie begeistert für die Menschen, die Mentalitäten und vor allem auch die manchmal schrägen Gewohnheiten eines kleinen slawischen Volkes. Kenntnisreich erzählt sie davon, dass es im kroatischen Binnenland eine Kleinstadt gibt, die das dichteste Aufkommen eines Autofabrikats gibt, das eigentlich im schwäbischen Untertürkheim produziert wird. Sie erinnert an den ehemals jugoslawischen Staatsführer Josip Broz Tito, der vor mehr als vierzig Jahren verstorben ist und dessen Fehlen zu einem Bürgerkrieg auf dem Balkan geführt hat. Sein Bild ist bis heute noch in Gasthöfen zu finden, nach ihm werden noch heute Getränke benannt – obwohl es ihm nachgesagt wird, ein Diktator gewesen zu sein (dies mögen die Historiker entscheiden).

Das Buch „Was Sie dachten, niemals über Kroatien wissen zu wollen“ begeistert, verkürzt das Warten auf die nächste Kroatien-Reise und lässt die Vorfreude wachsen.

Veronika Wengert: Was Sie dachten, niemals über Kroatien wissen zu wollen, Conbook Verlag, Neuss 2022, ISBN 978-3-95889-336-8, 251 Seiten, 9.95 Euro.