„Spuren im Alltag“
Es ist kein Buch für den Alltag. Dies denken die (potentiellen) Leserinnen und Leser des Buchs „Objektität des Bewusstseins“ aus der Feder des Philosophen und Pädagogen Ulrich Thomas Wolfstädter. Die Aussage stimmt, denkt man an die Lektüre des Buchs. Die knapp 780 Seiten sind eine Aufgabe, der man sich in Urlaubstagen oder beispielsweise in einer stillen Zeit zwischen den Jahren stellen kann. Nähern sich die Leserinnen und Leser den Inhalten an, so haben sie natürlich eine große Bedeutung für den Alltag.
Ja, kenntnisreich und fleißig hat sich Wolfstädter Fragen der Ethik und der Anthropologie genähert. Und ein besonderer Fokus liegt auf der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Naturismus. Damit hat sich Wolfstädter nahezu ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Schließlich gibt es bislang im deutschsprachigen Raum keine so tiefgründige Beschäftigung mit dem Nacktsein. Der Wiener Psychotherapeut Volkmar Ellmauthaler ist der einzige Autor, der es mit vergleichbarer Gründlichkeit vor wenigen Jahren machte.
Das Buch „Die Objektität des Bewusstseins“ ist alles andere als eine populärwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen der Körperlichkeit und der Freikörperkultur. Wolfstädter hat ein philosophisches Grundlagenwerk geschrieben, das einer gewissen Vorbildung bedarf. Wolfstädter wagt auch einen Gang durch die Philosophiegeschichte und die Historie der Freikörperkultur. Unter anderem kritisiert er: „In Geschichts-und Philosophiewerken wiederum wird die Nacktheit ausgeblendet, als irrelevant erachtet oder schlicht übersehen und vergessen. Das ist selbst bei Foucault der Fall, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Normalität zu hinterfragen“ (S. 634).
Mit dem Blick auf den verbandlichen Naturismus im deutschsprachigen Raum kritisiert Wolfstädter: „In Bezug auf das Aufkommen der Freikörperkultur und der darin geführten Rechtfertigung des Nacktseins und ihrer Respektabilität aber nun war die „Befreiung“ der Nacktheit von der Sexualität eine von der verbürgerlichten Gesellschaft auferlegte notzwanghafte Entwicklung, damit das Nacktsein zumindest in organisierter Obhut und dann meist auch nur heimlich unter Gesinnungsgenossen praktiziert werden konnte bzw. kann“ (S. 638).
Mit einer Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Entwicklungen gibt Wolfstädter zu bedenken, dass sich im Sinne des Habens genitaler Unterschiede Sexualität aus dem gesellschaftlichen Tabu habe lösen können, „während die Genitalien als die anthropologischen Unterschiede behutsam im Feigenblatt eingewickelt bleiben“ (S. 660).
Wolfstädters Buch „Die Objektität des Bewusstseins“ ist eine Gelegenheit, sich einmal intensiv mit Begriffen der Nacktheit, der Körperlichkeit und der Freikörperkultur zu beschäftigen (und nicht nur dies). Die Leserinnen und Leser werden nicht jeder Positionierung des überzeugten Naturisten Wolfstädter zustimmen. Sie haben sich jedoch einem Diskurs gestellt, der im eigenen Alltag seine Spuren hinterlassen wird.
Ulrich Thomas Wolfstädter: Die Objektität des Bewusstseins, Verlag Frank & Timme, Berlin 2021, ISBN 978-3-7329-0720-5, 779 Seiten, 98 Euro.
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