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Marc Engelhardt: Ich bin dann mal nackt – Eine Reise zu den unverhüllten Kulturen unserer Welt


Eine Rezension von Christoph Müller

„Unerwartete Erfahrungen“

Vor einer jeden Reise überlegt man sich, was man während des Unterwegsseins anzieht. Der Journalist Marc Engelhardt hat es für sein Buch „Ich bin dann mal nackt“ einmal anders erprobt. Zu seiner Reise gehörte vor allem das Ausziehen. Schließlich hat er eine Reise zu den unverhüllten Kulturen unserer Welt gemacht. Es sind nicht nur altbekannte Orte der Freikörperkultur gewesen, die Engelhardt besucht hat. Er hat vor allem auch unerwartete und ungeahnte Erfahrungen gemacht.

Der Anstoß für seine Expedition ist ein Erlebnis des Unverhülltseins an einem Waldsee gewesen. Die konkret erlebte Freiheit von Körper und Geist in der Natur hat grundsätzliche Fragen aufgeworfen, denen sich Engelhardt gestellt hat. An vielen Orten dieser Welt hat er daraufhin die Nacktheit ge-und erlebt – an der deutschen Ostsee und im finnischen Tvärminne, im japanischen Konomiya und im marokkanischen Marrakesch. Und mit jeder Seite, die er in seinem Notizbuch gefüllt habe, sei ihm klarer geworden: „Nackt sein, das ist ein globaler Trend. Doch was dahintersteckt, ist überall anders“ (S. 9).

Es ist ein unterhaltsamer Reportage-Stil, mit dem Engelhardt als Autor die Leser*innen gewinnt. Er schreibt in der Ich-Form, schaut die Entblößung nicht aus sachlicher Distanz an. Er setzt sich der Nacktheit aus, mischt sich unter die nackten Menschen. So findet sich Engelhardt an unerwarteten Orten wieder. Er berichtet beispielsweise vom Naturistenlauf am Rosenfelder Strand, plaudert darüber, dass Startnummern mit roten Stiften auf entblößte Brüste geschrieben werden. Er schaut auf die Kost bei einer Nackt-Kreuzfahrt und gibt zu bedenken: „Wer seinen Körper in Topform ausstellen möchte, denke ich mir, der ist bei einer Kreuzfahrt mit ständiger Kalorienzufuhr minus Bewegung vermutlich völlig fehl am Platz“ (S. 37).

Während Engelhardt durch die Kulturen des Nacktseins reist, kommt er auch einem Bildungsauftrag nach. So erfährt man, dass auch in muslimischen Regionen der Welt zu anderen Zeiten eine ganz andere Bedeutung als in der Gegenwart hat. Mit dem Blick auf japanische Sentos stellt Engelhardt fest, dass sie kein Ort für Erotik seien und es nicht gewesen seien, „als sie noch gemischt waren“ (S. 87).

Wer es einmal mit dem Nacktwandern probiert hat, der findet in Engelhardt einen Weggefährten. So schreibt er über seine ersten Wanderkilometer im Adam-Kostüm. Dabei ist ihm sicher ein Lächeln über das Gesicht gehuscht, als er geschrieben hat: „Wer regelmäßig nackt wandert, wird nicht nur zum Naturliebhaber, sondern irgendwann auch zum Juristen, so scheint es“ (S. 107).

Offensichtlich wird über die bald 300 Seiten, dass das Nacktsein nicht nur Moment einer individuellen Freizeitgestaltung sein kann. Das unverhüllte Leben kann zu einem politischen Statement werden, wie Engelhardt es bei der Femen-Bewegung in der Ukraine erlebt hat. Im Nacktyoga hat sich Engelhardt probiert und auch als Aktivist bei einer Kunstaktion des Fotografen Spencer Tunick. Apropos Kunst: Einen Besuch als Nackter in einem Kunstmuseum hat Engelhardt auch gewagt.

Es sind eine Leichtigkeit und eine Offenheit, die das Buch „Ich bin dann mal nackt“ auszeichnen. Es kann eine Anregung sein, sich gleichfalls die Kleider vom Leib zu nehmen und das unverhüllte Leben zu erproben oder gar zu schätzen. Dem eigenwilligen Kofferpacken und Verreisen Engelhardts kann nach dieser Reise-Erzählung gerne gefolgt werden.

Marc Engelhardt: Ich bin dann mal nackt – Eine Reise zu den unverhüllten Kulturen unserer Welt, Goldmann-Verlag, München 2021

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